
Veröffentlichung
"4 Wände - Bauen & Wohnen in Mainfranken - 03/2025"
Doppelhaus neu interpretiert
Wo will man leben und vor allem wie will man Leben? Diese Fragen stellen sich viele junge Menschen mit Familie, die für sich und ihre Kinder ein Zuhause mit Zukunft suchen. Architektin Barbara Kiesel hat ihren Geschwistern gezeigt, wie sie auf einem Grundstück im Familienbesitz beide individuell und doch zusammen leben können.
von Sandra Häuslein
Auf einem Grundstück in Kützberg entstanden zwei nahezu baugleiche Einfamilienhäuser in direktem Bezug nebeneinander. Die Architektin – Barbara Kiesel – nennt es „Doppelhaus neu interpretiert“. Denn im Grunde sind es zwei solitär stehende Baukörper, die nur im Erdreich im Hanggeschoss aneinanderstoßen. So ist es den beiden Familien, die seit Frühjahr 2023 dort ihr neues Zuhause gefunden haben, möglich, großzügig zu wohnen mit genügend Freifläche drum herum und ausreichend Privatsphäre. Gleichzeitig wurde das Grundstück sehr effizient genutzt und bietet nun für zwei Familien Platz zum Leben, Entfalten und Wachsen.
Zu verdanken ist dies einer Machbarkeitsstudie der Architektin Barbara Kiesel. Beauftragt wurde sie von ihren Eltern, um deren Grundstück es sich handelte. Die vorhandene Fläche ist groß: über 1.600 Quadratmeter stehen zur Verfügung. Allerdings durfte nur knapp die Hälfte davon bebaut werden – so schreibt es der örtliche Bebauungsplan vor. Zur nicht bebaubaren Freifläche fällt das Grundstück steil ab. Bei ihrer Auseinandersetzung mit den örtlichen Begebenheiten kam Barbara Kiesel zu der Erkenntnis, dass das Grundstück durchaus für zwei Familien nutzbar ist und ausreichend Platz bietet für die individuellen Wohn- und Lebensbedürfnisse.
Auch die angehenden Bauherrenschaft gehört dem Familiekreis Kiesel an. Denn das ganze Projekt ist für Barbara Kiesels Bruder und Schwester mit Familien erdacht worden. Diese waren unabhängig voneinander auf der Suche nach Eigentum und entschieden sich letztendlich für das Grundstück der Eltern und die Planung der Schwester. „Dieses Projekt so zusammen durchzuziehen, war für die gesamte Familie ein Wagnis“, erinnert sich Barbara Kiesel. Doch letztendlich hat es funktioniert und der Mut und das gegenseitige Vertrauen aller Beteiligten haben sich ausgezahlt.
Auf den ersten Blick gleichen sich die beiden Baukörper bis aufs Haar – oder in diesem Fall bis aufs Dach. Doch es gibt Feinheiten, die den Unterschied machen und die individuellen Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigen.
Beide Baukörper sind in ihrer Grundfläche langgezogene Rechtecke. Architektin Barbara Kiesel sagt von sich selbst, sie sei ein Fan von Langhäusern. „Ich lege die Erschließung gerne an die lange Seite und schaffe dadurch große, zusammenhängende Flächen“, erklärt sie. Und genau so hat sie es auch bei diesen beiden Wohnhäusern umgesetzt. Im Hanggeschoss entstanden große Wohn- und Essräume mit offener Küche und direktem Zugang zum Garten. In den Teilen des Untergeschosses, die im Hang liegen, sind Keller- und Technikräume untergebracht. Bei einem der beiden Häuser knickt dieser Teil L-förmig von den Haupträumen ab und schiebt sich an das benachbarte Langhaus unterirdisch heran. Im Ganzen betrachtet ist der Baukörper hier U-förmig ausgebildet. Dazwischen entstand eine Art Innenhof, der von beiden Parteien zur Erschließung der Technikräume, aber auch als Freibereich zum Aufenthalt genutzt werden kann. Gleichzeitig erzeugte die Architektin so ausreichend Abstandsflächen zwischen den beiden Baukörpern, sodass die Symbiose der beiden Wohnhäuser auch baurechtlich funktioniert. Glücklicherweise wurde kurz vor Baubeginn die Abstandsflächenregelung in Bayern entschärft. Nur so fanden beide Gebäude mit ausreichend Grün drum herum Platz auf dem begrenzten Baufeld.
Im Erdgeschoss sind neben dem Eingangsbereich die Elternräume wie Schlafzimmer, Bad und Büro untergebracht. Im Dachgeschoss erhielten die Kinder ihren Bereich mit Kinderzimmern und eigenen Bädern.
In der Innenraumgestaltung dominieren Holzdielen aus Douglasie, die mit einer Länge von bis zu zehn Metern teilweise raumlang verlegt wurden. Diese Arbeiten führte ein vierter Bruder im Familienkonstrukt durch, der als Schreiner und Produktdesigner arbeitet. Holz-Alu-Fenster unterstreichen den warmen Charakter, den die Holzdielen dem Innenraum verleihen.
Während im Haus der Schwester ansonsten alle weiteren Flächen weiß gehalten sind – Türen, Wände, Decken – hat sich der Bruder wiederum für holzfurnierte Türblätter entschieden, um den Fokus noch stärker auf den Baustoff Holz zu lenken. Im Haus der Schwester wiederum findet man ein offenes Treppenhaus mit dunklem skulpturalem Metallgeländer, während sich der Bruder mit Familie für eine verschlossenere Variante mit Trennwand entschieden hat. Zudem ist der eine Baukörper etwas breiter als der andere, während zweiterer wiederum mit Erd- und Dachgeschoss etwas über das Hanggeschoss auskragt. Beide Familien haben zudem ihren ganz individuellen Freibereich geschaffen.
Auffallend auf den ersten Blick sind Fassade und Dach der beiden Baukörper. Beide Häuser wurden klassisch massiv gebaut und mit Holzlatten aus heimischer Lärche beplankt. Das Besondere: Die Fassade wird über die beiden Dächer hinweg fortgeführt. „Dies zu realisieren war herausfordernd, denn viele Firmen haben sich die Umsetzung nicht zugetraut und mit dieser Bauweise auch keine Erfahrung aufweisen können,“ erinnert sich Barbara Kiesel. Doch letztendlich wurde eine Zimmerei gefunden, die diese ungewöhnliche Baukonstruktion umsetzen konnte. Letztendlich versteckt sich dahinter ein simples hinterlüftetes Metalldach, das auch ganz ohne die Lattung funktioniert. Doch sie ist das optische Highlight, gibt den Baukörpern ein monolithisches Aussehen und macht das Dachgeschoss als vollwertiges Wohngeschoss sicht- und greifbar.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, haben sich Mut und Wagnis gelohnt. Das Projekt im Familienkonstrukt ist geglückt. Ein Grundstück – jetzt aufgeteilt auf zwei Eigentümer – schafft Platz für zwei Familien, insgesamt neun Personen auf dem Land, in der Natur, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Oma und Opa.

